Ich experimentiere ja gerne. Und ich finde Naturheilverfahren total spannend. Es ist faszinierend, welche Kräfte die Natur zur Heilung entfalten kann. Noch faszinierender sind jedoch manche Mitmenschen, die die medizinische Weisheit für sich gepachtet haben – und das dazu passende Allheilmittel gleich mit. Das Problem: Bei diesen weichgespülten Sonntagsesoterikern, bei denen ich den erleuchteten Singsang schon beim Lesen im Ohr habe, frage ich mich, aus welcher Klapse die bitte entsprungen sind. Findet Ihr fies? Dann habe ich hier ein sehr aktuelles und NICHT frei erfundenes Beispiel für Euch. Diesen Blogartikel widme ich im übrigen den Mäusen der beiden Damen, die ihn inspiriert haben, und wünsche ihnen, dass sie nie, nie in ihrem ganzen Mäuseleben krank werden.
Auä, guckt mal … Was mach ich da?
Ihr kennt es vermutlich (fast) alle: Da kommt ein besorgter Mäusehalter um die Ecke in eine Gruppe reingekrümelt und breitet sein (medizinisches) Problem aus. Dann dauert es maximal 15 Minuten, bis die ersten Therapievorschläge eintrudeln. Anamnese? Na, wer braucht den sowas!? Wir gehen gleich zur Lösung über. Das ist doch viel effizienter!
In unserem Beispiel soll es um eine arme, kleine Farbmaus gehen, die sich massiv kratzt und bei der sich schon große, flächige und offene Wunden über den Oberkörper verteilen. Der Tierarzt vermutet Milben oder eine Allergie, vielleicht ist es aber auch was anderes. Genau weiß er’s nicht. Das verschwommene Bild zum Krankenbericht ist leider auch nicht wirklich aufschlussreich.
Zudem sind gerade Wunden und Juckreiz ein weites Feld. Was das alles sein kann. Milben, Haarlinge, Pilze, Bakterien, Hefen, ulzerative Dermatitis oder andere Dermatiden … Die Auswahl ist riesig und eine genaue Ursache zu bestimmen – ohne eine gründliche Diagnostik unmöglich. Nichtsdestotrotz förderte diese Frage auch die beiden folgenden “Hilfestellungen” zu Tage, bei denen ich mich ganz besorgt frage, was bei den beiden “Therapeuten” im Oberstübchen kaputt ist.
Lösung 1: Kokosöl heilt alles
Lösung numero uno: Reib die Maus doch mal mit Kokosöl ein. Das ist antibakteriell und hilft auch gegen Milben, Würmer und viele andere Maladien. Kann man aber auch zur Therapie verfüttern. Nur nicht so viel, sonst bekommt Mausi Durchfall.
Ich lese, grinse so vor mich hin und warte auf die Pointe – die nicht kommt. Die Autorin des Kommentars meint das tatsächlich ernst! Vor meinem geistigen Auge erscheint eine total verbabbte, demnächst dann gleich noch erkältete Maus, die sich wie wahnsinnig kratzt. Und ich fürchte, dieses Szenario kommt der Realität deutlich näher als eine Wunderheilung. Nur an den prophezeiten Durchfall glaube ich bei einem Pflanzenöl nicht.
Ja, ich kenn den Hype um Kokosöl. Wenn Ihr damit experimentieren wollt, schmiert Euch vom Scheitel bis zur Sohle ein, sauft das Zeug im Liter oder tragt es im Fläschen am Halsband als Talisman mit Euch rum – aber lasst es von den Mäusen weg. Warum?
Ganz einfach: Es ist doch noch gar nicht klar, woher die Wunden nun kommen. Dass Kokosöl alleine Parasiten vergrault, kann ich mir selbst mit meiner durchaus blühenden Fantasie nicht vorstellen. Ganz zu schweigen davon , dass es ja so antibakteriell und pflegend ist, dass die Wunden von ganz allein schamvoll das Weite suchen. Kokosöl hilft ja sowieso gegen alles. “Die Indikation für Kokosöl heißt Leben”, werde ich in bestem Eso-Gesäusel belehrt.
Dass das Leben in diesem Fall ein Fell hat, das es gern sauber halten möchte, geht an unserem Sonnenscheinchen irgendwie vorbei. Mäuse hassen Dreck in ihrem Fell – weshalb Salben, Gels, Cremes und eben auch Öle vor allem für eines sorgen: nämlich dafür, das Maus daran noch mehr rumleckt und -kratzt. Ob das jetzt so das Problem löst? Ich weiß nicht …
Was ich allerdings weiß, ist, dass ich nach meinem Protest gegen diesen Unfug gleich die esoterische Breitseite bekomme. Ich müsse ja unbedingt Recht behalten (in diesem Fall JA, bitte!) und außerdem habe ich so einen aggressiven Unterton. Gute Frau, das eine nennt man Erfahrung und das andere Ironie. Kann man beides nicht essen, tut aber gut, wenn man es hat.
Aber natürlich bin ich völlig auf dem Holzweg, denn die böse Chemie unterdrückt ja nur, statt zu heilen, und bei mir ist ja offensichtlich Hopfen und Malz verloren. Dass Mutter Natur das größe Chemielaboratorium der Welt besitzt und damit hochwirksame, sehr gefährliche Stoffe produzieren kann, ist unserem Eso irgendwie entgangen. Ach ja, wo wir doch grad bei der Chemie sind: Die Links zu den Studien, die ihre kühnen Behauptungen untermauern sollen, ist mir unsere Blitzbirne im übrigen bis heute schuldig.
Lösung 2: Sand, wir brauchen mehr Sand!
Wenn Ihr die Idee mit dem Kokosöl schon steil fandet, dann wartet mal ab, was Eso Nummer 2 auspackt. Mir fiel jedenfalls erstmal die Kinnlade mit einem lauten Knall auf den Boden. Zur Erinnerung: Wir reden immer noch von offenen Wunden, deren Ursache nicht klar ist. Die Lösung ist unserem Genie allerdings glasklar: Sand!
Ich bin verwirrt. Ja, das sind Parasiten (welche, wird nie näher spezifiziert) und Sand hilft gegen Parasiten. Die Besitzerin unserer unglücklichen Patientin soll den Sand von oben auf die Maus rieseln lassen. Ich sammle mühsam meine Kinnlade ein, ringe um Fassung und frage mich, warum ich eigentlich immer so pedantisch bin und selbst Sandbadern mit offenen Wunden ihren Sand klaue? Wenn der doch so toll hilft. Und drin kleben tut er auch perfekt. Was will man mehr? Ne gesunde Maus vielleicht? Dann lässt man das.
Dass ich bei sowas dann doch endgültig leicht die Contenance verliere, versteht unser kleines Esolein so überhaupt nicht. Das überträgt sich doch auch auf die Tiere … Sülz … Dabei habe ich ihr nur – redlich um Sachlichkeit und einen möglichst kleinen Anteil an Sarkasmus bemüht – erklärt, warum ihre Idee nicht fruchten kann.
Farbmäuse sind keine Sandbader. Da ist also schon mal nix mit Sand und Fellpflege. Ok, wilde Sandbader kämmen tatsächlich Ektoparasiten beim Sandbad mit den Körnern aus dem Fell. Ganz los werden sie die Plagegeister damit aber auch nicht. Nur weniger werden es.
Außerdem greift hier die Schmutzhypothese der Allergologen nicht. Also nix von wegen “zu viel Hygiene macht krank – rein in den Dreck!” Das gilt für Allergien, nicht für offene Wunden.
Ich hab da mal was gelesen
Das Internet ist eine Fundgrube mehr oder minder bizarr anmutender Ideen – auch was die medizinische Versorgung von Mäusen angeht. So mancher Geistesblitz entpuppt sich bei näherem Hinsehen als durchaus interessant. Das Gros jedoch lässt einem die Haare zu Berge stehen, wenn man genauer drauf schaut. Typische Quellen: Zentrum der Gesundheit und “bewusst vegan froh”.
Und genau da liegt das Problem: WENN denn jemand mal hinschaut … Erschreckend viele Leute sind auf dem Auge allerdings extrem kurzssichtig oder schon komplett blind. Und so kommt es, dass sich in den Gruppen und Foren ein Fundus an Glaubensbekenntnissen findet – Wissen kann man es ja nicht nennen – dass einem glatt anders wird.
Leute, die Naturmedizin ist toll. Sie ist voller Möglichkeiten und birgt auch für Mäuse ein riesiges Potenzial. Aber mit Wundern kann sie leider auch nicht dienen. Die dauern hier genauso wie in der Schulmedizin nicht einfach länger – sie machen es einfach wie Godot. Wenn Euch also jemand verspricht, das Allheilmittel für alles und jeden entdeckt zu haben … Klemmt Eure Tiere unter den Arm, nehmt die Beine in die Hand und lauft ganz, ganz schnell so weit wie möglich weg!
Hallo Sarah,
ich finde Deinen Sarkasmus einfach klasse.
Deine Berichte lese ich jedes Mal mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Was manche Menschen mit Tieren anstellen ist echt zum verzweifeln.
Ich hab leider auch schon oft erlebt, wie Tierärzte mit den Schultern zucken bei Hamster, Maus und Co., einfach mal eine Vermutung anstellen und dann einen Roborowski Zwerghamster mal so mit SpotOn also Nervengift prophylaktisch “übergiessen” oder noch schlimmer bei MilbenVERDACHT einem Dsungaren eine derartige Überdosis spritzen, dass er auf dem Heimweg verstirbt.
Seit vielen Jahren behandle ich deshalb meine Notfellchen nach Diagnosestellung durch den TA und in Absprache mit ihm, größten teils alternativ. Ich staune heute nach über 10 Jahren immer noch, wie schnell manche Wunden mit Naturmitteln verheilen.
Auch mit dem “Wundermittel” Kokosnuss habe ich bei anderen Diagnosen schon gute Erfahrungen gemacht, allerdings nicht bei so einer offenen Wunde wie auf dem Bild.
Die sieht mir eher nach einer Bisswunde / Hotspot aus.
Ich hoffe, noch viele herzerfrischende Berichte von Dir zu lesen.
Ich finde Naturheilverfahren total genial. Die bekommen in Zukunft auch mehr Platz auf der HP. Wenn Du dann Deine Erfahrungen enbringen magst, würde ich mich sehr freuen. Da guck ich mit bestimmt auch Kokos wieder an. Aber in dem besagten Fall war Kokosöl einfach nur daneben. Wenn man noch nicht weiß, woher es kommt, kippt man nicht einfach Sachen auf’s Tier und meint, dann würde alles gut. Böser Fehler bei so kleinen Tieren.
Das Kerlchen auf dem Bild ist nur der Vertreter. Der hier gemeinte Patient sieht etwas anders aus. Er hier hatte ulzerative Dermatitis – also was, wo ich schon mal KEIN Kokosöl draufschmieren würde. Ich wehre mich da auch nicht generell mit Händen und Füßen dagegen. Aber bei starkem Juckreiz das Tier beschmieren – hab ich viele Jahre mit den unterschiedlichsten Sachen probiert und hat meist mehr Probleme eingebracht als gelöst. -.-
kann man die Originaldiskussion irgendwo nachlesen?
Zum Teil steht sie in einer geschlossenen FB-Gruppe. Die Dame mit der Sand-Idee hat leider ihren Part samt meiner Antworten gelöscht und die Gruppe verlassen.
zu früh abgeschickt
Spannend finde ich auch, das ein namhafter Hersteller von bTierfutter Bachblüten im Angebot hat. Die ja nur funktionieren wenn man an deren Wirkung glaubt, was bei Tieren ja eher unglaublich ist
Noch spannender finde ich , dass ich – nicht wissend was Bachblüten sind – drauf reingefallen bin… *schäm*
Es waren ja nicht mal die Besitzer. Die haben ja nur diese haarsträubenden Tipps bekommen – und Gott sei Dank NICHT drauf gehört. Aber die Tippgeber möchte ich immer noch gern teern und federn … äh … kokosölen und sandbaden … 😛